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I.



willem schulz
ferner gesang

18 musikalische Skulpturen für inszeniertes Streichquartett

  Demos

Foto: B.Hahn/Layout: M.Otte
   Der Zyklus ferner gesang besteht aus 18 Sätzen. Die Instrumente werden dabei sehr vielseitig bespielt: archaisch als Werkstücke aus Holz und Metall, dann wieder traditionell in der Art des klassischen Streichquartetts bis hin zur ausgefeilten Raum-Performance. Die Stücke, die jeweils eine Länge von 3 bis 10 Minuten haben, greifen facettenreich Themen der täglichen Wahrnehmung auf.

   ferner gesang ist ein variables Programm, mit dem Räume, Gebäude oder ganze Areale bespielt werden können. Aufführungen gab es z.B. in einer leerstehenden Fabrik, in einem Kloster, einem Industriemuseum, an einem See, auf einem Bahnhof. Dabei werden die Orte durch die Musik neu erfahrbar und andererseits bekommt die Musik durch die Orte immer wieder andere thematische Bezüge.

   Genau dieses Gestalten mit musikalischen „Skulpturen“ soll dieses Werk herausfordern. Wie in einer Ausstellung werden die 18 Stücke – oder eine Auswahl - immer wieder neu, immer wieder anders nebeneinander gesetzt. Jedes einzelne bekommt seinen speziellen Ort, sei es weil dieser bereits etwas davon hat oder weil er diese Musik quasi „braucht“.

   Das Publikum ist eingeladen, mitzugehen und sich immer wieder aufs Neue eigene Hör- und Sehperspektiven zu suchen, um damit das individuelle Erlebnis zu gestalten.

   Neben „abendfüllenden“ Aufführungen kann ferner gesang auch in Teilen unter andere Programme gemischt werden, z.B. um eine zweite Programmebene zu installieren.  mehr...



A U D I O
mp3 ferner gesang 1 ferner gesang 2



Protokoll über eine Reise ins Unbekannte

Essay von Hella Germelmann-Petersen 14.2.2011

   Wenn du in diesen modernen durchsichtigen Bau eingetreten ist, umschließen die gläsernen Wände dich mit der Unerbittlichkeit, mit der man in eine Raumkapsel steigt: die Welt bleibt draußen, du erlebst eine Fahrt in unbekannte Dimensionen.

Das Publikum ist eine Reisegesellschaft, wir nehmen Kontakt auf, wir werden gemeinsam reisen. Die junge Reiseleiterin sagt ein paar einführende Worte und bedeutet uns, ihr zu folgen. Große Tore öffnen sich, ein Verladeort, eine große Zufahrt bringt kalte Luft. Kein Weg nach draußen, aber eine Einladung in eine Art Raumkapsel des Managers deutet den Weg nach oben an. Die Gesellschaft wartet, gespannt, die anfängliche Unruhe über einen ungewöhnlichen Ort für eine sonst wohlbekannte Situation, nämlich sich sitzend einem Hörgenuss hinzugeben, verebbt zu Erwartung und Stille.

Die hinten Stehenden hören Geräusche, Schritte? Schritte, die einen Rhythmus auf den Zementfußboden malen, Schritte, die sich aufeinander beziehen könnten, die ein Muster abschreiten und von Menschen mit Instrumentenkästen erzeugt werden.

Vier Menschen mit Instrumentenkästen und tönenden Schritten durchdringen die Wartenden und gehen durch sie hindurch.

Als die wartenden, erwartenden Menschen die Eingangshalle erreicht haben, sehen sie vier Instrumentalisten spielbereit aufgereiht hinter den Garderobentresen. Zwei Geigen, eine Viola, ein Cello beginnen ein zartes Gespräch. Ihre Sprache ist fremd, aber ihre Gestik ist so anrührend. Wir glauben ihre Gefühle zu verstehen. Wir möchten ihre Sprache lernen.

Die Viola trennt sich von den drei anderen und wagt sich in die Menschengruppe. Ihre Rufe sprechen uns an. Vielleicht möchten wir sie beschützen.

      Jetzt sind wir schon mitgenommen. Auf einer den Raum durchwendenden Treppe schrauben wir uns alle auf die nächste Stufe. Wir sind in einem Raumgebilde, das nur Form und keine Farbe hat. Die gewohnten Ansammlungen von Gegenständen haben sich aufgelöst in Raumstruktur. Viele bekannte Muster eines Gebäudes fehlen, so haben wir die Vision, in eine Welt von Gestaltlosigkeit überzuwechseln.

Wir betreten wieder eine bekannte Struktur, das Theater mit den roten Sitzen, dem steilen Rang, der darüber schwebt und dem Bühnenraum. Jetzt dürfen wir einen ungeheuren Perspektivwechsel erleben: WIR sitzen auf der Bühne, schauen ins Publikum und sind doch die Passiven, die Lauschenden. Zwei Geigen suchen sich mit ihren Tönen, finden sich in diesem Riesenraum, werden auch gefunden von Viola und Cello weit hinten in der Beleuchtungskammer, unendlich weit hinter einer Milchglasscheibe.

Überraschend als wir uns mit unseren Stühlen umdrehen und in den Bühnenhintergrund blicken. Da sitzt ein Streichquartett, hat sich wiedergefunden, hat einen Raum gefunden und findet dichte Tonreihen, und gibt uns Hörern ein stabiles statement von seiner Existenz.

War dies ein Klangbeweis ihrer irdischen Existenz, so geht es nun in die Werkstatt ihrer materiellen Grundlage. In der Theaterwerkstatt zeigen Bewegung und Töne, dass Holz und Metall die Basis für esoterische, für gefühlte Gespinste, für Geist und Form ist.

Die Grenze zwischen Tönen und Geräuschen wird spürbar und erträglich, weil sie den ursprünglichen Zusammenhang vor Augen führt.

Wir finden uns dann in einem spiralförmig aufsteigenden Treppenhaus, Foto: Otte das nur noch aus Köpfen von Lauschenden zu bestehen scheint, die als einziges über die Brüstung reichen. Die Musiker haben eine Vertikale in den Stockwerken eingenommen und reagieren wie ein Echo aufeinander, nur noch aufeinander hörend, lauschend.

Unsere Reise geht weiter aufwärts, in den Himmel? Ins Nirwana? Die Irdischen nennen es ‚Skylobby’.

Ein Fugato bringt uns wieder zurück in die Welt der schon erkennbaren musikalischen Form. Hochkomplex und grandios gespielt, erinnert es uns aber doch an die Welt, die wir hier erwartet hätten. Ein Gruß von ‚Zuhause’?

Nein, wir sind in der Welt jenseits der Erdanziehung. Es gibt kein ‚oben’ oder ‚Unten’ mehr, es gibt vier Streicher, die auf dem Rücken liegend eine Vision von Schwerelosigkeit vermitteln, wenn ihre Musik in einen Raum hineingespielt wird, der keine Wände zu haben scheint, nur noch nach oben ‚offen’ ist.

Auch wir geben allmählich unsere altbekannten Dimensionen auf. So Vieles ist möglich.
Und alles ist beglückend, befreiend und unendlich bereichernd.
Wir sind nicht im Unermesslichen Raum verschollen, sondern liebevoll an die Hand genommen, wenn ein ‚Frühlingslied’ mit einer spielerisch verträumten Geige uns zu uns selbst zurückbegleitet.



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